Krisenmanagementsystem auf Bahnnetzen in Polen

Personenzug auf dem Bahnhof in Koluszki, Polen. Quelle: Adobe Stock Images, Tomasz Warszewski

Autorin: Iwona Zubrzycka-Wasil, Oberste Rechnungskontrollbehörde Polen

Die Prüfung des Krisenmanagements im Bereich der Bahninfrastruktur wurde auf Eigeninitiative der Obersten Rechnungskontrollbehörde Polen (ORKB Polen) durchgeführt und befasste sich unter anderem mit Verfahren, die während der größten Störung der Bahnverkehrssteuerung im März 2022, drei Wochen nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, zur Anwendung kamen. Die Prüfung war ebenfalls durch zahlreiche Probleme und Unfälle im Bahnverkehr motiviert. Im Jahr 2020 ereigneten sich 516 Bahnunfälle, von denen sechs schwere Unfälle waren, die durch Zusammenstöße oder Entgleisungen von Zügen verursacht wurden und die Personensicherheit auf Bahngeländen beeinträchtigten. Zudem wurden 1.218 Vorfälle verzeichnet, die weder zu Todesfällen oder schweren Verletzungen noch zu Sach- oder Umweltschäden führten. Diese Vorfälle hätten jedoch zu Ereignissen werden können, die in Krisenmanagementplänen vorgesehene Maßnahmen erforderlich machen. Die Prüfung begutachtete ebenfalls Probleme, die zur Jahreswende 2022/2023 bei Massentransporten von Kohle aus den Seehäfen festgestellt wurden, Probleme im Zusammenhang mit Flüchtlingsströmen aus der Ukraine, Schwierigkeiten im Bahnverkehr im Bereich des Warschauer Knotens, die auf Investitionsarbeiten in den Jahren 2020–2023 zurückzuführen sind, sowie Störungen im Bahnverkehr, die in den Jahren 2020–2023 durch die unerlaubte Übertragung von „Funk-Stopp-Signalen“ (radio-stop signals) verursacht wurden.

Die landesweite Störung der Bahnverkehrssteuerung im März 2022 war auf einen Ausfall der elektronischen Verkehrssteuerungssysteme zurückzuführen. Er führte zur Aussetzung des Bahnverkehrs auf etwa 80 % aller Bahnstrecken. Die Störung betraf insgesamt 1.123 Streckenkilometer und legte die Steuerung des Bahnverkehrs in 13 von 23 Bahnbereichen lahm. 457 Züge wurden zurückgerufen und 1.328 Züge hatten Verspätung, wobei die Verspätungen oft über zwei Stunden betrugen. 19 Bahnverkehrsleitungszentralen waren außer Betrieb. Dieser Vorfall ereignete sich in der dritten Stufe der CRP-Bedrohung, der Charlie- und Code-Red-Terrorismusbedrohung für den wichtigsten polnischen Bahnlinienbetreiber, PKP PLK S.A., nach dem russischen Angriff auf die Ukraine.

Diagramm 1 – von der Störung vom 17. März 2022 betroffene Bahnbereiche, Quelle: ORKB Polen

Quelle: ORKB Polen

Diagramm 2 – Bahnlinien – Angabe der Standorte mit Ausfällen von im Bahnverkehr eingesetzten Geräten im März 2022

Quelle: ORKB Polen

Das Bahnverkehrssystem ist ein wesentlicher Bestandteil der kritischen Infrastruktur. Das Hauptziel des Schutzes der Bahnnetze besteht in der Aufrechterhaltung der Leistungen, die für die staatliche Sicherheit, die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger sowie für das effiziente Funktionieren von Verwaltung, Institutionen und Unternehmen maßgeblich sind.

Für diese Prüfung ermittelte die ORKB Polen drei Hauptsysteme für das Krisenmanagement auf Bahnnetzen:

  1. das Krisenmanagementsystem des Infrastrukturministeriums, das für das Verkehrswesen zuständig ist,
  2. die Sicherheitsmanagementsysteme (SMS) der Bahninfrastrukturgesellschaften (Strecken, Bahnhöfe),
  3. das SMS der Zugbetreiber (Beförderer, Fahrzeugwartungsdienste).

Die Prüfung der ORKB Polen zielte darauf ab, ein Prüfungsurteil darüber abzugeben, ob die Krisenmanagementsysteme einen angemessenen Schutz der kritischen Infrastruktur sowie die Sicherheit der Fahrgäste in Zügen, Bahnhöfen und auf Bahngeländen gewährleisten. Dazu wurden folgende Fragen beantwortet:

1. Inwieweit gewährleistete das von PKP PLK S.A., dem Betreiber der Bahnlinien und -infrastruktur, eingeführte und eingesetzte Managementsystem die ordnungsgemäße und effektive Vorbereitung der Infrastruktur, die ordnungsgemäße Abwicklung des Bahnverkehrs sowie die Personensicherheit auf Bahngeländen in Krisensituationen?

2. Inwieweit gewährleistete das vom Zugbetreiber eingeführte Managementsystem, einschließlich seines Aufbaus, seiner Instrumente und Verfahren, den sicheren Betrieb von Schienenfahrzeugen sowie der Bahninfrastruktur und die Sicherheit der Fahrgäste in Krisensituationen auf der Bahnstrecke?

3. Inwieweit gewährleistete der Bahnhofsbetreiber PKP S.A eine angemessene Organisation, geeignete Instrumente und Verfahren, welche die Instandhaltung und den Schutz der Bahnhöfe sowie die Personensicherheit auf dem Bahngelände in Krisensituationen ermöglichen?

4. Inwieweit verfügten Unternehmen, die für die Abwicklung des Bahnverkehrs notwendige Leistungen, einschließlich IT, Telekommunikation und Energieversorgung, an Bahninfrastrukturbetreiber, Bahnhofsbetreiber und Bahnunternehmen erbringen, über eine Organisation, Ressourcen und Verfahren, um in Krisensituationen auf der Bahnstrecke in den ihnen anvertrauten Bereichen des Bahnsystems einen sicheren Betrieb zu gewährleisten?

5. Erfüllte das für den Bahnverkehr zuständige Ministerium seine Aufgaben hinsichtlich der Überwachung der Bahnverkehrssicherheit in Krisensituationen auf dem Bahnnetz ordnungsgemäß und zuverlässig?

Der überprüfte Zeitraum erstreckte sich von 2020 bis 2023. Die Auswahl der geprüften Stellen erfolgte zielgerichtet und fußte auf in einem bestimmten Bereich ermittelten Problemen. Der Prüfungsumfang erstreckte sich auf die folgenden Infrastrukturbetreiber, Zugbetreiber und Behörden:

  • Infrastrukturministerium,
  • Betreiber des staatlichen Bahnnetzes, PKP PLK S.A.,
  • Bahnhofsbetreiber der PKP S.A.,
  • Bahnbetreiber: PKP Informatics, PKP Telkol, PKP Linia Hutnicza Szerokotorowa,
  • Bahnunternehmen: Koleje Mazowieckie, Polregio, Koleje Wielkopolskie, Koleje Śląskie, PKP Szybka Kolej Miejska w Trójmieście, Arriva sp. z o.o.

Im Rahmen dieser Prüfung führte die Bahnverkehrsbehörde auf Wunsch der ORKB Polen eine Reihe von Ad-hoc-Prüfungen der Sicherheitsmanagementsysteme (SMS) bei folgenden Betreibern durch:

Diagramm 3 – Zusammenhänge innerhalb des Bahnkrisenmanagementsystems

Quelle: ORKB Polen

Prüfungsergebnisse

Die Prüfung der ORKB Polen ergab, dass das für den Bahnverkehr zuständige Ministerium es verabsäumt hatte, für ein wirksames Krisenmanagementsystem auf Bahnlinien zu sorgen. Dadurch entstand das Risiko eines unzureichenden Schutzes der kritischen Infrastruktur sowie der Personensicherheit auf dem Bahngelände, in Bahnhöfen und Zügen sowie der Bewohnerinnen und Bewohner von Orten, die an den Bahnstrecken für den Transport gefährlicher Güter liegen.

Das vom Ministerium eingeführte Krisenmanagementsystem gewährleistete weder Kohärenz noch vollständige Abstimmung der auf Grundlage der verschiedenen Vorschriften ergriffenen Maßnahmen. Zu den Bereichen, denen es an Kohärenz fehlte, zählten das gesetzlich festgelegte Krisenmanagementsystem, das Bahnsystem zur Bewältigung von Krisensituationen und das Sicherheitsmanagementsystem.

Das Ministerium legte keinerlei Grundsätze oder Verfahren für die Zusammenarbeit mit Bahnunternehmen im Rahmen des gesetzlich vorgeschriebenen Krisenmanagementsystems für den Bahnverkehr fest. Die Tätigkeiten dieser Bahnunternehmen bildeten ein wesentliches Bindeglied für die Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des gesamten Krisenmanagementsystems. Das Ministerium ermittelte im Krisenmanagementplan weder Risiken für den Bahnverkehr noch Krisenereignisse auf Bahnstrecken oder bestimmte diese in irgendeiner Form näher. Dadurch bestand die Möglichkeit einer Destabilisierung des angemessen funktionierenden kritischen Bahninfrastruktursystems durch dessen Zerstörung oder Unterbrechung. Das Ministerium ermittelte ähnliche Risiken und Ereignisse im Bereich Straßenverkehr, tat dies jedoch nicht für die Bahn.

Das Ministerium ergriff keinerlei wirksame Maßnahmen, um die Grundsätze und Verfahren für die Organisation und Funktionsweise von Bahnunternehmen und Unternehmen, die im Rahmen des Krisenmanagementsystems innerhalb des Verkehrsministeriums der Staatsverwaltung tätig sind, festzulegen oder zu vereinbaren (z. B. in Form einer Vereinbarung oder eines Abkommens). Das nicht ordnungsgemäße Funktionieren des Krisenmanagementsystems wurde dadurch bestätigt, dass das Ministerium es verabsäumte, die Unterbrechung der Bahnverkehrssteuerung in 13 von 23 Bahnbereichen der PKP PLK S.A. richtig einzuordnen. In solchen Krisensituationen leitete das Ministerium keine eigenen Krisenmanagementverfahren auf dem Bahnnetz ein.

Das Zusammenspiel der Stellen, die gesetzlich verpflichtet sind, Bahnkrisenmanagementpläne zu entwickeln (d. h. das Infrastrukturministerium und der Präsident der Bahnverkehrsbehörde), nahm keinerlei Einfluss auf den Erfolg der Aufgabenerfüllung im Rahmen des Bahnkrisenmanagementsystems. Während der größten Störung der Bahnverkehrssteuerung wurde der Präsident der Bahnverkehrsbehörde – der staatlichen Sicherheits- und Regulierungsbehörde für den Bahnverkehr – von der PKP PLK S.A. nicht im Voraus über die geplanten Abhilfemaßnahmen des Bahnlinienbetreibers mit potenziellen Auswirkungen auf die Unterbrechung des Bahnverkehrs, die fast entlang des gesamten Schienennetzes auftrat, informiert. Die Bahnverkehrsbehörde wies darauf hin, dass der Infrastrukturbetreiber im Falle einer Störung des Zugverkehrs alle erforderlichen Maßnahmen zur Wiederherstellung eines ununterbrochenen Zugverkehrs hätte ergreifen und gleichzeitig die Bahnverkehrsbehörde über den Wiederherstellungsplan hätte informieren müssen. Die PKP PLK S.A. hätte sich geeigneter externer Kommunikations- und Krisenmanagementmechanismen bedienen müssen.

Diagramm 4 – Organigramm des Krisenmanagements im Bahnverkehr

Quelle: ORKB Polen

In den Augen der ORKB Polen versetzten die von den Bahnunternehmen unter der Leitung der PKP PLK S.A. im Rahmen des Bahnkrisenmanagementsystems eingeführten und angewendeten Verfahren die Betreiber in die Lage, die Bahninfrastruktur zuverlässig vorzubereiten, den Bahnverkehr zu steuern und die Personensicherheit auf dem Bahngelände im Krisenfall zu gewährleisten.

Die ausgearbeiteten Verfahren waren eine Basisinitiative der Bahnunternehmen. Obwohl das Infrastrukturministerium verpflichtet ist, ein Bahnkrisenmanagementsystem zu erstellen, schloss es sich nicht einmal dem von den Bahnunternehmen im Jahr 2017 geschlossenen Abkommen an.

Das Abkommen aus dem Jahr 2017 wurde zwischen den folgenden Stellen geschlossen: PKP S.A. (Bahnhöfe), PKP Informatyka Sp. z o. o. (IT-Systeme & Betriebssicherheit), PKP Telkol sp. z o. o. (Funkkommunikation & Funk-Stopp-System), PKP Energetyka S.A. (Energie) mit dem Unternehmen PKP PLK S.A. an der Spitze. Das Abkommen betrifft die Organisation des nationalen Bahnkrisenmanagementsystems und überwacht die laufenden Betriebs- sowie Transporttätigkeiten auf den von der PKP PLK S.A. verwalteten Bahnstrecken in Bahnhöfen und Endbahnhöfen. Das Krisenmanagementsystem der Bahnunternehmen wurde von speziell ernannten Teams auf verschiedenen Managementebenen erarbeitet und kommt im Falle von Bedrohungen sowie Krisensituationen zum Einsatz.

Die Prüfung ergab, dass die von den Bahnunternehmen angewendeten Sicherheitsmanagementsysteme der Bahnbetreiber den sicheren Betrieb von Schienenfahrzeugen und eine ordnungsgemäße Verwaltung der Bahninfrastruktur ermöglichten, indem sie eine Vielzahl von Verfahren und Verhaltensregeln für bestimmte Ereignisse, unter anderem Krisen, festlegten. Dieses System, das in den Bestimmungen des Bahnverkehrsgesetzes verankert ist, war jedoch kein Bestandteil des Krisenmanagements gemäß Krisenmanagementgesetz, sondern nur dessen informelle Ergänzung.

Prüfungsempfehlungen

Die ORKB Polen empfahl dem Premierminister, in einem ersten Schritt Maßnahmen im Rahmen seiner Aufsichtsbehörde zu ergreifen, die darauf abzielen, die formelle Beteiligung des Präsidenten der Bahnverkehrsbehörde am Bahnkrisenmanagementsystem sicherzustellen. In einem zweiten Schritt sollte der Premierminister Gesetzesinitiativen ergreifen, die darauf abzielen, den inhaltlichen Geltungsbereich der Krisenmanagementpläne von Ministerien sowie zentralen Behörden zu präzisieren. Die ORKB Polen stellte fest, dass die derzeitigen gesetzlichen Bestimmungen keine einheitlichen Anforderungen an den Inhalt der auf verschiedenen Ebenen der öffentlichen Verwaltung ausgearbeiteten Krisenmanagementpläne stellen. Daher sind die Krisenmanagementpläne der gesamten öffentlichen Verwaltung weder kohärent noch ergänzen sie einander.

Die ORKB Polen empfahl dem Infrastrukturministerium, detaillierte Regeln und Verfahren für den Einsatz des gesetzlichen Krisenmanagementsystems auf Bahnstrecken zu entwickeln und anzuwenden. Dabei sollten die Beteiligung sowie die tätigkeitsbezogenen Besonderheiten aller an diesem System Beteiligten, insbesondere der Bahnunternehmen und des Präsidenten der Bahnverkehrsbehörde, berücksichtigt werden.

Zug-Hacking

Die Prüfung der ORKB Polen zur Funktionsweise des Krisenmanagements für die Bahnsicherheit zielte darauf ab, die Gründe für Vorfälle und Probleme im Zusammenhang mit den Krisenmanagementsystemen der Bahnlinien darzulegen. Die Prüfung bezog sich jedoch nicht auf einen nennenswerten Fall, bei dem Züge laut Mitteilung eines Wartungsdienstleisters für den Bahnbetreiber Koleje Dolnośląskie gehackt wurden. In diesem Fall „verweigerten“ 30 Züge, die von einem anderen polnischen Unternehmen hergestellt wurden, „die Zusammenarbeit“ nach obligatorischen Wartungsarbeiten durch das Unternehmen, das die Ausschreibung gewonnen hatte. Das Unternehmen, das die Wartung durchführte, war ein anderes als der ursprüngliche Zughersteller, der sich ebenfalls beworben hatte, mit seinem Angebot jedoch nicht erfolgreich war. Obwohl die Züge voll funktionsfähig waren, fuhren sie nicht. Daher beschloss das Wartungsunternehmen, Hacker zu beauftragen, um die Gründe für die Fehlfunktion besser verstehen zu können. Der Verdacht auf eine mögliche Sabotage durch den Hersteller kam auf, als die Hacker die Software der Zugsteuerungscomputer analysierten. Ihre Erkenntnisse1 deuteten darauf hin, dass der Zughersteller bewusst Defekte, die nach der Wartung der Züge durch andere Unternehmen oder nach einer bestimmten Anzahl an Kilometern auftreten, programmiert haben könnte. Diese Defekte würden Züge stilllegen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, beispielsweise wenn sich ein Zug über zehn Tage an einem Ort innerhalb bestimmter GPS-Koordinaten aufhält. Diese Koordinaten seien Standorte von Reparaturwerkstätten verschiedener Unternehmen, die in Bezug auf Wartungsverträge im Wettbewerb mit dem Hersteller stehen. Die Software der Züge wurde manipuliert, um falsche „Ausfälle“ zu verursachen und die Züge somit stillzulegen. Einige Expertinnen und Experten vermuten, dass die Defekte das Ergebnis vorsätzlichen Verhaltens des Zugherstellers gewesen seien, der aufgrund höherer Preise Ausschreibungen für Wartung und Instandhaltung verloren hatte. Daher besteht der Verdacht, dass das Unternehmen die Züge sabotiert haben könnte, um wieder Aufträge für deren Wartung zu erhalten.

Die ORKB Polen beabsichtigt oder plant derzeit nicht, diesen Fall zu prüfen. Die oben genannten Informationen veranschaulichen einen schwer vorstellbaren Fall, der in jedem Fall nennenswert ist.

  1. https://badcyber.com/dieselgate-but-for-trains-some-heavyweight-hardware-hacking/ 
    https://jonworth.eu/newags-digital-sabotage-of-dolny-slasks-trains-what-were-they-thinking/ ↩︎
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